Zahlen zu Machtmissbrauch im Sport

Zahlen zu Machtmissbrauch im Sport

Ein Überblick über ein kontrovers diskutiertes Thema mit Zahlen zu Machtmissbrauch im Sport

Mit dem Verein #WeTogether zur Prävention von Machtmissbrauch im Sport wurde eine Anlaufstelle geschaffen, die Betroffene telefonisch oder via Kontaktformular auf WeTogether.at erreichen können. Bei Mitgründerin Nicola Werdenigg persönlich gingen ebenso Kontaktaufnahmen auf allen möglichen Kanälen ein. Nun liegen die ersten Zahlen auf dem Tisch. Auch der vom WEISSEN RING betriebene Opfer-Notruf 0800 112 112 erfasst seit November 2017 das Thema „Machtmissbrauch im Sport“ als eigenständige Kategorie.

Analyse der Meldungen in Zahlen

Vom 20.11.2017 bis 2.7. 2018 gingen bei Nicola Werdenigg persönlich bzw. ab 20.1.2018 auch via Kontakt-Formular auf WeTogether.eu insgesamt 114 Meldungen ein und wurden erfasst.

  • 43 Meldungen stammten aus dem Sport
  • davon 25 von Betroffenen selbst
  • 18 von Angehörigen, Kolleg*innen und Zeug*innen.
  • Die übrigen 71 Kontaktaufnahmen verteilten sich auf andere Themen (43) oder sie waren zu vage, um weiter verfolgt werden zu können (28).

Meldungen, die sich auf „Missbrauch im Sport“ bezogen

Meldungen aus dem gesamten Zeitraum 1968 bis 2017

Der früheste Zeitpunkt, zu dem Tatvorwürfe erhoben wurden, ist 1968, der späteste 2017. Tatvorwürfe finden sich in allen Jahrzehnten dazwischen.

Schwerpunkt Ski Alpin und Nordisch

Mehr als 80% der Meldungen aus dem Sport, können dem Bereich Leistungssport Ski Alpin und Nordisch zugeordnet werden. Rund 55 % der mutmaßlich Betroffenen erlebten die gemeldeten Vorfälle in skisportspezifischen Schulen, rund 41% in ÖSV-Nationalkadern Alpin, rund 7% im ÖSV-Kader Nordisch.

Von Vergewaltigung über Stalking bis zu psychischer Gewalt

Die Tatvorwürfe reichen von Gruppenvergewaltigung, Vergewaltigung, Missbrauch von Kindern bis 14 Jahren, Sex mit schutzbefohlenen Minderjährigen über Stalking, Sexismus, psychische Gewalt bis zu ungerechtfertigten Wettkampfsperren. Davon sind insgesamt 34 Personen als mutmaßliche Betroffene namentlich bekannt.

Statement Opfernotruf Weisser Ring

Beim Opfer-Notruf 0800 112 112 wurden im Zeitraum 24.11.2017 bis 2.7.2018 insgesamt zwölf Anrufe zum Thema „Machtmissbrauch im Sport“ registriert.

Die Betroffenen wurden telefonisch betreut und an zuständige Beratungsstellen weitervermittelt. Es ging dabei um unterschiedliche Problemstellungen, von der Organisation von Krisenintervention bis hin zur Weitervermittlung an Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte zur Prüfung einer eventuellen Verjährung.

Nur mit ausdrücklicher Zustimmung von Betroffenen

Zu dieser Zahl ist festzuhalten, dass Anrufe Betroffener nur dann der Kategorie „Machtmissbrauch im Sport“ zugeordnet wurden, wenn die Anrufenden dem ausdrücklich zustimmten. Betroffene, die einer Registrierung nicht zustimmten, begründeten ihre Ablehnung damit, alte Wunden nicht wieder aufreißen lassen zu wollen. Betroffene möchten sich nicht dem Risiko aussetzen, dass ihnen nicht geglaubt wird und sie in der Öffentlichkeit diffamiert werden.

Bedenken von Betroffenen

Generell befürchten viele Verbrechensopfer, dass ihnen nicht geglaubt und ihnen Mitschuld bzw. Mitverantwortung zugeschrieben wird. Beim aktuellen Thema kommt dazu, dass sich viele Betroffene aus dem Bereich des Sports diesem nach wie vor eng verbunden fühlen und den Ruf „ihrer“ Sportart nicht beeinträchtigen möchten.

Hohe Dunkelziffer zu erwarten

Es ist zu befürchten, dass es sich bei diesen Zahlen nur um die Spitze des Eisbergs handelt. Denn generell ist aus Sicht der Viktimologie gerade bei Verletzungen der sexuellen Integrität und Selbstbestimmung von einer hohen Dunkelziffer auszugehen. Das belegen zahlreiche Untersuchungen.

So kommt eine österreichische Prävalenzstudie zur Gewalt an Frauen und Männern (Österreichisches Institut für Familienforschung an der Universität Wien) aus dem Jahr 2011 zu dem Ergebnis, dass drei Viertel aller Frauen in ihrem Leben sexuelle Belästigung erlebt haben (74,2%), nahezu ein Drittel aller Frauen sexuelle Gewalt erfahren hat (29,5%).

Beim Tatbestand der Vergewaltigung wird von einer Dunkelziffer 1:11 ausgegangen. Das bedeutet, dass auf jede Vergewaltigung, die angezeigt wird, 11 Vergewaltigungen kommen, die den Strafverfolgungsbehörden nicht bekannt werden. Auch im Bereich des Machtmissbrauchs im Sport muss davon ausgegangen werden, dass es ein breites Dunkelfeld von Übergriffen gibt, die nie angezeigt und auch nicht gemeldet worden sind.

Opfer-Notruf 0800 112 112

Der Opfer-Notruf ist eine kostenlose Hotline, die täglich rund um die Uhr erreichbar ist. Der Opfer-Notruf ist Anlaufstelle für alle Themen rund um Kriminalität aus dem Blickwinkel von Opfern. Besonders geschulte Jurist/inn/en und Psycholog/inn/en stehen für entlastende Gespräche jederzeit gerne zur Verfügung.

Der Opfer-Notruf 0800 112 112 wird vom Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz finanziert und vom WEISSEN RING Verbrechensopferhilfe seit über 10 Jahren betrieben.

Der WEISSE RING ist die einzige Opferhilfe-Einrichtung, die österreichweit Opfern von jeder Art Kriminalität zur Verfügung steht.
Weisser Ring Österreich

Schlussbemerkung Nicola Werdenigg

Mir persönlich ist es ein ganz wichtiges Anliegen, darauf hinzuweisen, dass mein Engagement nicht darauf gerichtet ist, gegen einen einzelnen Sportverband vorzugehen, sondern für junge Menschen die Freude an Bewegung durch eine respektvolle Atmosphäre zu bewahren.

Hilfe für Betroffene

Neben den 25 Betroffenen, die direkt Kontakt mit mir aufgenommen hatten, wurden auch in sechs Fällen spätere Gespräche mit von Angehörigen gemeldeten Betroffenen geführt, bzw. wurden Ansprechpartner – Therapeuten, Rechtsbeistand, zuständige Polizeidienststellen und die Kommission des Landes Tirol – vorgeschlagen.

Der #MeToo Effekt

In allen persönlichen Gesprächen ging es den Betroffenen darum, ihre Erlebnisse zu schildern (viele zum ersten Mal) und Verständnis zu finden. Das Vertrauen in eine Person, die selbst ähnliches erlebt hat und die Sportstrukturen kennt, spielt dabei eine große Rolle.

Therapie und Verständnis

Niemand stellte Überlegungen nach finanzieller Entschädigung an. Es wurde oftmals versichert, dass alleine „darüber Reden können“ das Wertvollste sei. Hier besteht noch großer Bedarf an Aufklärung über therapeutische Möglichkeiten und ihre Finanzierung.

Dunkelziffer

Ausgehend von der deutschen Studie „Safe Sport“, wonach jede(r) dritte Leistungssportler*in zumindest einmal sexualisierten Machtmissbrauch im Karriereverlauf erlebt und eine/r von neun Befragten schwere und/oder länger andauernde sexualisierte Gewalt im Sport erfahren hat, erscheint die Zahl der Menschen, die sich gemeldet haben und über Vorfälle sprachen, die sich in einem Zeitraum von 50 Jahren zugetragen haben sollen, gering.

Scham und Angst über erlittene sexualisierte Gewalt zu sprechen ist unter Athlet*innen stark vorhanden. Im Sport sollte man stark sein und auch als Frau „seinen Mann stehen“. Für betroffene Männer ist es deshalb noch schwieriger über ihre schlimmen Erfahrungen zu reden.

Viele Betroffene sprachen von Angst: Einerseits, dass ihnen nicht geglaubt würde und andererseits vor Stigmatisierung oder gar wirtschaftlichen Repressalien.

Enttabuisierung des Themas sexualisierter Machtmissbrauch

Letztendlich hat meine Entscheidung, die persönlichen Erfahrungen öffentlich zu machen, in mehrfacher Hinsicht Wirkung gezeigt. Ähnlich wie in England und im Bereich des dort populären Fussballsports wurde in Österreich im Kontext des „National-Sports“ Ski eine breite Debatte zum Thema sexualisierter Machtmissbrauch initiiert.

Offene Fragen und Lösungen

In der Öffentlichkeit wurde das Thema polarisierend zwischen meiner Person und dem Österreichischen Skiverband abgehandelt.

Mein Motiv: Die Frage, wie Präventionsmaßnahmen noch besser in österreichischen Sportstrukturen kommuniziert, etabliert und umgesetzt werden können, trat dabei in den Hintergrund.

Umso wichtiger erscheint die Vernetzung bereits bestehender externer Anlaufstellen und vor allem eine unabhängige wissenschaftliche Studie, die Strukturen untersucht und Zahlen & Fakten liefert.

Mit dem Verein #WeTogether zur Prävention von Machtmissbrauch im Sport, wollen wir vor allem die Vernetzung und Aufklärung unterstützen. Es gibt bereits Kooperationen mit bestehenden Einrichtungen, Sporverbänden & -vereinen und ein Rohkonzept für eine europaweite Kommunikationsplattform.

Begriffe zum Thema sexualisierte Gewalt - Glossar von #WeTogether

Begriffe zum Thema sexualisierte Gewalt

Unterschiedliche Begriffe zum Thema sexualisierte Gewalt kommen in Medien und Diskussionen vor, seit das gesellschaftliche Phänomen sexualisierte Gewalt von Betroffenen Frauen öffentlich gemacht wurde. Neben Bezeichnungen wie beispielsweise ’sexueller Missbrauch‘, ’sexualisierte Gewalt‘ oder ’sexuelle Gewalt‘ werden in der Literatur Begriffe wie ‚Inzest‘ oder ‚Seelenmord‘ zur Beschreibung sexualisierter Gewalthandlungen verwendet.

Wir wollen einen Beitrag zur Aufklärung leisten und ein wichtiges Thema besser begreifbar machen.

Glossar

SEXUALITÄT

Sexualität ist untrennbar mit dem Menschsein verbunden.

Sexualität bedeutet sinngemäss Geschlechtlichkeit und bezeichnet im engeren biologischen Sinn die Gegebenheit von verschiedenen Fortpflanzungstypen – Geschlechtern. Im sozio- und verhaltensbiologischen Sinne bezeichnet der Begriff die Formen dezidiert geschlechtlichen Verhaltens zwischen Geschlechtspartnern.

Im weiteren Sinn bezeichnet Sexualität die Gesamtheit der Lebensäußerungen, Verhaltensweisen, Empfindungen und Interaktionen von Lebewesen in Bezug auf ihr Geschlecht.

Zwischenmenschliche Sexualität wird in allen Kulturen auch als ein möglicher Ausdruck der Liebe zwischen zwei Personen verstanden.

SEXISMUS

Sexismus ist ein Machtinstrument

Sexismus, abgeleitet aus dem Englischen „sex“ = biologisches Geschlecht‘ und Nachsilbe -ismus, ist ein Oberbegriff für eine breite Palette von Einzelphänomenen unbewusster oder bewusster Diskriminierung auf der Basis des Geschlechts.

Grundlage von Sexismus sind sozial geteilte, implizite Geschlechtertheorien bzw. Geschlechtsvorurteile, die von einem ungleichen sozialen Status von Frauen und Männern ausgehen und sich in Geschlechterstereotypen, Affekten und Verhaltensweisen zeigen.

SEXUELLE BELÄSTIGUNG

Sexuelle Belästigung ist ein Mittel zur Machtausübung

Seit 2016 ist sexuelle Belästigung auch in Österreich ein Straftatbestand bei dem Machtgefälle bzw. Abhängigkeitsverhältnisse einseitig sexualisiert und damit aufrechterhalten werden.

Inhaltlich handelt es sich bei sexueller Belästigung um konkretes, sexuell bestimmtes Verhalten, das unerwünscht ist und durch das sich eine Person unwohl und in ihrer Würde verletzt fühlt.

Als sexuelle Belästigung gelten unter anderem sexualisierende Bemerkungen und Handlungen, die entwürdigend bzw. beschämend wirken, unerwünschte körperliche Annäherung, Annäherungen in Verbindung mit Versprechen von Belohnungen und/oder Androhung von Repressalien.

SEXUALISIERTE GEWALT & SEXUALISIERTER MACHTMISSBRAUCH

Sexualisierte Gewalt ist sexualisierter Machtmissbrauch

Sexualisierter Machtmissbrauch sind Handlungen mit geschlechtlichem Bezug ohne Einwilligung beziehungsweise Einwilligungsfähigkeit des/der Betroffenen und insbesondere Delikten wie zum Beispiel sexuelle Nötigung, Vergewaltigung und sexueller Missbrauch von Kindern übergeordnet.

Sexualisierte Gewalt wird dabei der physischen Gewalt (zum Beispiel Körperverletzung und Misshandlung von Schutzbefohlenen) und der psychischen Gewalt nebengeordnet.

SEXUELLER MISSBRAUCH

Sexueller Missbrauch ist nur ein juristischer Begriff. Er definiert sexuelle Gewalt gegen Wehrlose.

Sexueller Missbrauch bezeichnet sexuelle Handlungen an Minderjährigen oder an erwachsenen, widerstandsunfähigen Personen z. B. Kranke, Behinderte, Hilfsbedürftige, Gefangene.

Im Kontext spezieller Behandlungs- und Betreuungsverhältnisse, z. B. Psychotherapie, werden sexuelle Kontakte auch mit Einverständnis des Klienten als Missbrauch seitens des professionellen Helfers gewertet.

UNTERSCHIEDE SEXUELLER MISSHANDLUNGEN

Sexuelle Misshandlungen werden in „Hands-On“- und „Hands-Off“-Taten unterteilt.

Bei den „Hands-On“-Taten kommt es zum Körperkontakt zwischen Opfer und Täter.

Unter „Hands-Off“-Handlungen fällt das Vorzeigen pornografischer Materialien bzw. das Herstellen pornografischer Fotos und Filmaufnahmen von Kindern, auch von Erwachsenen ohne deren Einwilligung, Exhibitionismus, Voyeurismus sowie alle weiteren sexuell-intendierten Handlungen ohne körperliche Berührung zwischen Opfer und Täter.

Wir und die anderen - Studie über Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit im Sport

Wir und die Anderen

Mit der Querschnittsstudie „Wir und die Anderen – Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit im organisierten Sport in Brandenburg“ wurde das Syndrom Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit im organisierten Sport untersucht.

Körperschaftlicher Herausgeber
Universität Leipzig, Sportwissenschaftliche Fakultät, Institut für Sportpsychologie und Sportpädagogik, Fachgebiet Sportsoziologie

Das Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit – ausgehend von einer Ideologie der Ungleichwertigkeit – wurde von Prof. Wilhelm Heitmeyer (Universität Bielefeld) entwickelt. Die Ergebnisse ermöglichen explizite Aussagen über Ausmaß und Ursachen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit für den gesellschaftlichen Bereich des Sports.

Die Studie wurde im vereinsorgansierten Sport im Bundesland Brandenburg durchgeführt. Insgesamt wurden 1.760 Sportlerinnen und Sportler von Oktober 2014 bis Januar 2015 befragt. In der Stichprobe spiegeln 175 Sportvereine mit 44 Sportarten die Vielfalt der Sportpraxis wider. Es wird der Frage nachgegangen, wie Menschen im Sport auf Grund ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Identität, Religion oder ihrer kulturellen und ethnischen Herkunft wahrgenommen werden und ob diese Merkmale mit feindseligen Mentalitäten im Sport einhergehen können.

Vollversion als PDF

Publikationsjahr
2016

Erscheinungsort
Leipzig

Seitenangabe
88 S.

Status
Veröffentlichungsversion; nicht begutachtet

Lizenz
Digital Peer Publishing Licence – Basismodul

Zitationshinweis

Bitte beziehen Sie sich beim Zitieren dieses Dokumentes immer auf folgenden Persistent Identifier (PID):
http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:0168-ssoar-47919-6

 

 

Safe Sport - #WeTogether gegen Machtmissbrauch im Sport

Safe Sport

Ziel des Projekts Safe Sport ist die Schliessung von Forschungslücken und die Prävention von sexualisierter Gewalt im Sport. Mit Hilfe einer Online-Befragung wurden 1.799 Kaderathleten aus 128 verschiedenen Sportarten in Deutschland zu sexualisierter Gewalt im Sport befragt.

  • Etwa ein Drittel der Befragten hat schon einmal eine Form von sexualisierter Gewalt im Sport erlebt.
  • Eine/r von neun Befragten hat schwere und/oder länger andauernde sexualisierte Gewalt im Sport erfahren.
  • Die Mehrheit der Betroffenen sind bei der ersten Gewalterfahrung jünger als 18 Jahre.

Die Studie untersucht auch den Umsetzungsstand von Präventionsmaßnahmen im organisierten Sport. Dazu wurden Sportverbände, Olympiastützpunkte, Sportinternate und Vereine systematisch befragt.

Ausführliche Informationen zur Studie, die von der Deutschen Sporthochschule Köln zusammen mit dem Universitätsklinikum Ulm durchgeführt wurde.
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