Von #metoo nach #WeTogether

Von # metoo nach #WeTogether

Rückblick mit Aussicht auf eine starke Bewegung von # metoo nach #WeTogether.

Editorial von Nicola Werdenigg zum Jahreswechsel

Der Jahreswechsel steht an und mit ihm möglicherweise auch ein Pradigmenwechsel. Dazu müssen wir alle gemeinsam die Grundlagen von Machtmissbrauch verstehen und Begriffe begreifbar machen. Was wir noch beachten sollten, ist die nach wie vor bestehende Stigmatisierung von Betroffenen sexualisierter Gewalt.

Stigma kills

Der von sexualisierter Gewalt betroffene Mensch wird nicht nur körperlich verletzt, sondern auch psychisch. Opfer können jahre-, jahrzehntelang unter Depressionen oder Posttraumatischer Belastungsstörung leiden. Zu allem Überfluss werden sie in vielen Gesellschaften auch noch ausgestoßen. Sie gelten als beschmutzt. Ihnen wird die Schuld gegeben, die doch allein beim Täter liegt. Mir wurde in diesem Zusammenhang der Unterschied zwischen der urbanen und ländlichen Gesellschaft sehr klar. Auch der verbale Umgang mit dem Thema ist mir aufgefallen.

Sexualisierte Begrifflichkeiten

In meinem persönlichen Jahresrückblick taucht ab dem 20. November, als ich erstmals öffentlich von meiner Vergewaltigung sprach, viel Sex auf. Der Boulevard verwickelt mich in Sex-Skandale mit dem Skiverband und berichtet von meiner Einvernahme durch die Kripo zu Sex-Übergriffen. Die Socialmedia-Meute will von mir Namen der Sex-Täter erfahren, der Skiverband spricht in einem Atemzug von Pantscherln und Verleumdung, eine Ex-Kollegin wohlmeinte gar, dass zum Sex immer zwei dazu gehören.

Eine Vergewaltigung hat nichts mit Sex zu tun.

Eine Vergewaltigung ist nicht aggressiver Sex. Eine Vergewaltigung ist sexualisierte Aggression, sexualisierter Machtmissbrauch in schwerer körperlicher Form. Neben seelischen Schäden tragen die Opfer oft körperliche Schäden bis zum Tod davon. Vergewaltigung wird auch systematisch als Waffe im Krieg eingesetzt. Terroristen und Soldaten nutzen Vergewaltigung oft um ganze Gemeinschaften zu zerstören.

Erfüllender Sex hat immer mit Respekt zu tun

Sex ist sehr unkompliziert, wenn man von keinem Komplex, sondern von einem Bedürfnis geleitet wird, meinte der Erfinder von Kommissar Maigrait. So klar ist Sex aber nicht, finde ich. Das Bedürfnis gepaart mit Komplexen macht ihn kompliziert. Nicht den Akt an sich. Da gebe ich Simenon recht. Die Voyeure tun sich schwer. Und all jene mit anderen Komplexen, die körperliche Hingabe im Austausch zwischen Menschen auf gleicher Augenhöhe kaum kennen.

Kinder respektieren lernen

Respektvolles oder respektloses Handeln wird uns in die Wiege gelegt. Diese Erfahrung macht jeder Mensch; zum ersten Mal bei seiner eigenen Geburt. Viele Säuglinge, wenn sie verstanden würden, müssten kein Lied davon weinen. Die Phase in der sich Kinder, Väter und Mütter zu gemeinsamen Familien-Kommunikationsformen zusammenfinden, ist nicht immer einfach und selten geradlinig. Es kann gar zu Konflikten führen, wenn in dieser Zeit nicht Empathie sondern Zweck im Mittelpunkt steht.

Respektlose alte Systeme

Respektlosigkeit für sehr junge Menschen kommt in gängigen Erziehungssystemen oft vor. Sie werden je nach Bedarf unter- und überschätzt. Das Bedürfnis von Kindern wird dauernd nach hinten gereiht, oder nach vorne. Allein gelassen oder mit in die Einsamkeit gezogen, später in die Isolation der gleichgemachten Gesellschaft gestossen. Es ist kaum Platz für Menschen, die sich in „normalen“ Systemen nicht entfalten können oder wollen.

Wirtschaftswunder 2.0.

Die Meisten, die nach dem Krieg bis in die 1970er geboren wurden, hatten eine Kinderzeit erlebt, in der sich die Elterngeneration am Aufbau der Gesellschaft und der Kriegsruinen gleichzeitig beteilgte. Zwei Aufgaben, ein Vektor, das ging gut. Dann kam das Wirtschaftswunder 2.0. Das tat nicht allen gut. Dort wo Landwirte zu Gastwirten wurden und durch die Industrialisierung des Tourismus schliesslich Hoteliers, wird es deutlich: Zeit ist Geld, das bekommen die Kinder am deutlichsten zu spüren.

Macht des wirtschaftlichen Erfolgs

Die einst bodenständigen Alten, suchten als Weg aus dem Kriegstrauma die Flucht in Verdrängung. Sie liefen dem nächsten toxischen System geradewegs in die Arme. Unreflektierter Kapitalismus, mit seiner Forderung nach uneingeschränktem Wirtschaftswachstum war die Zauberformel. Mit ihr konnten Gewinne maximiert und Mitgefühle möglichst klein gehalten werden. Das vermeintliche Recht des Stärkeren wurde durch die Macht der Erfolgreicheren abgelöst.

Soziale Systeme wie in der Steinzeit

Wir befinden uns noch immer in der Lebensform, die mit unseren Urahnen vom Fruchtbaren Halbmond in der Jungsteinzeit nach Europa kam. Wir sind sesshaft, wir sind spezialisiert, wir produzieren, wir bilden Kapital, wir haben archaische Konflikte, die wir lösen oder auch nicht. Wir leben in sozialen Schichten, in der neolithischen Gesellschaftsform, die vor rund 12.000 Jahren in Vorderasien entstand.

Jetzt gibt Narzissmus den Ton an

Ob das Bedürfnis nach Macht als Selbstzweck bereits in der Jungsteinzeit existierte, weiss ich nicht. Dass Machtmissbrauch im Gesellschaftssystem, das nach dem 2. Weltkrieg entstand, allgegenwärtig ist, schon. Wir lassen uns von krankhaft narzisstischen Persönlichkeiten regieren. Wir sehen allmächtige Wirtschaftshierarchien als Gegebenheit. Wir haben Unterdrückungsmechanismen hingenommen, die viele ohnmächtig und die wenigen Mächtigen mächtiger machen.

#metoo

Und dann kam #metoo. Die Bewegung, die mehr als zehn Jahre alt ist, bekam prominente Unterstützung. Angestoßen wurde sie von der afroamerikanischen Aktivistin Tarana Burke, die sich für Gleichberechtigung junger afroamerikanischer Frauen engagiert. So wie ihr ging es auch mir nie um eine Kampagne, die viral geht. Es geht um eine Bewegung. Einen starken Auftritt gegen Machtmissbrauch. Davon sind Frauen und Männer und ganz besonders Kinder betroffen.

Von #metoo nach #WeTogether

Dieses Problem können wir nur gemeinsam lösen. Dazu müssen wir es definieren. Wir werden die sexualisierte Begrifflichkeit am Stammtisch und im Boulevard durch Begreifbarkeiten erwidern. Wir werden die Aussage eines Sportpräsidenten, wonach es in seinem Verband keine Sexualität gäbe, zum Anlass nehmen aufzuklären aber nicht auszulachen.

Ein gutes Neues Jahr und Prosit auf den Paradigmenwechsel!
nicola

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